Sonntag, 4. Mai 2014

Staus, Erdgröße und Erforschung der Energiewende...


Man glaubt kaum, was für einen Erkenntnisgewinn eine kleine Überschlagsrechnung bringen kann. Dazu bedarf es keiner höheren Mathematik. Die Grundrechenarten, etwas Potenzrechnung und das Wissen, wie der Dreisatz angewendet wird, reichen oftmals aus. Es kommt dabei nicht darauf an, „exakte“ Ergebnisse zu liefern, sondern eher darum, ein Gefühl zu bekommen, ob etwas Behauptetes machbar bzw. realistisch ist oder nicht – oder ob man für dumm verkauft werden soll. Wir Physiker gehen sogar weiter, wir versuchen selbst dann – wenn belastbare Informationen Mangelware sind – zumindest Plausibilitäten und Größenordnungen abzuschätzen. Hier gilt Kant’s „Sapere aude“ in seiner besonders reinen Form: „Glaube nicht alles, was dir die Presse, Politiker oder Lobbyisten vor die Nase setzen - versuche zumindest mit klarem Verstand dessen Plausibilität zu hinterfragen“. Die Methode, die wir dabei anwenden, hat uns der berühmte Physiker und Nobelpreisträger von 1938, Enrico Fermi, gelehrt. Seine Methode läßt sich am besten an einem Beispiel erläutern. Angenommen, sie sitzen in einer kleinen Runde abends beim Bier, und ihr Gegenüber erzählt, daß er heute 2 Stunden im Stau gesessen hat. Und irgendwann kommt man zu der Frage, wie lang eigentlich der längste Stau, der jemals in Deutschland aufgetreten ist, war. Und diese Frage ist heutzutage ruck zuck zu beantworten, denn das Smartphone ist jederzeit griffbereit und das Internet schnell aufgerufen: Im Sommer 1993 erreichte z.B. ein Stau auf der A7 eine Länge von ~170 km. Und wie viele Leute saßen damals im Stau fest? Eine ad hoc – Antwort auf diese Frage erscheint auf dem ersten Blick gar nicht so einfach. Aber mit etwas gesundem Menschenverstand ließe sich folgende Abschätzung wagen: Durchschnittliche PKW-Länge+Abstand zum Folgefahrzeug: 5 Meter; durchschnittliche Maximalzahl von Personen pro PKW 4 / im Schnitt aber nur die Hälfte belegt -> 2 Personen pro PKW; Autobahn ist zweispurig dicht. Mit diesen plausiblen Annahmen läßt sich jetzt eine Abschätzung wagen: 

170 km * 1000 m *2 Fahrspuren / 5 m „Fahrzeuglänge“ = Anzahl Fahrzeuge = 150000 Fahrzeuge

Da jedes Fahrzeug im Mittel mit 2 Personen besetzt ist, hingen an diesem Tag ca. 300000 Personen auf der Autobahn fest. War doch ganz einfach, oder?

Manchmal muß man aber auch etwas mehr nachdenken. Da hilft ein Diagramm oder eine Skizze manchmal ungemein. Auch etwas Trigonometrie kann bei vielen Problemstellungen durchaus hilfreich sein. Angenommen, sie sitzen am Strand und beobachten einen Sonnenuntergang. Und sie sehen, wie sich die Sonnenscheibe langsam dem Horizont nähert. Und sie werden es kaum glauben, wenn sie jetzt noch eine Stoppuhr und ein Meßband dabei haben, können Sie die Größe der Erde abschätzen. Und das geht so: legen Sie sich am Strand auf den Bauch und beobachten Sie, wie die Sonne langsam am Horizont verschwindet. Und genau, wenn das passiert, drücken Sie die Stoppuhr. Dann stehen sie schnell auf und Sie werden überrascht bemerken, daß ein Teil der Sonne wieder sichtbar ist und sie noch weitere rund 11 Sekunden warten müssen (Stoppuhr, sie zeigt am Ende 11.2 Sekunden an), bis sie wieder unter dem Horizont verschwindet. Ihre Augenhöhe haben Sie mit dem Meßband zu ~ 1.75 Meter bestimmt. Nun brauchen wir noch ein paar Formeln, die sich schnell aus einer einfachen Skizze erschließen:


Nach dem Satz des Pythagoras folgt:

woraus
wegen h<<R folgt. 

Der Winkel Θ in der Skizze ist der Winkel, den die Sonne in den 11.2 Sekunden zwischen der Liege- und der Stehposition zurücklegt. Nach dem Dreisatz gilt dann:


Aus der Skizze läßt sich wiederum die Beziehung

ablesen, was zu

und damit zu


führt. Dieser Wert weicht nur um knapp 20 % vom wahren Erddurchmesser (6,36 * 10^6 m) ab. Am genauesten wird diese Art der „Erdgrößenbestimmung“ naturgemäß an einem äquatornahen Strand.

Und nun sind Sie dran, zu überprüfen, ob die These plausibel ist, die Energieerzeugung von ganz Deutschland auf „Erneuerbare“ umzustellen, wie es unsere Politiker vorhaben. Sie können dabei lernen, Diagramme zu lesen und deren Implikationen zu verstehen.


Also folgendes Diagramm zeigt die Windstromeinspeisung für den April 2014. Die Frage, die wir uns stellen wollen, ist die Frage „Wie viele WKA’s müssen in Deutschland zu den bereits Installierten noch in Betrieb genommen werden, um mit „Windenergie“ eine 100% Energieerzeugung sicherzustellen? Auch hier soll nicht exakt gerechnet werden, sondern es soll nur überprüft werden, ab eine 100% Energieversorgung durch Windkraftanlagen machbar ist. Güllekraftwerke, Wasserkraftwerke und Solaranlagen (die nur Tags Strom liefern und deshalb in dieser Beziehung ohne Bedeutung sind) sollen dabei außen vor bleiben. Alle andere Kraftwerkstypen wollen wir prophylaktisch als „Teufelszeug“ aus unseren Betrachtungen heraus lassen und auch noch von dem unerfreulichen Tatbestand ausgehen, daß es keine effektiven Stromspeicher gibt, die über längere Stromengpässe hinweg helfen würden.

Und hier die Ausgangsdaten:

  • Zur Zeit sind in Deutschland ca. 23000 WKA’s mit einer Gesamt-Nennleistung von 34,5 GW installiert.
  • Im Schnitt benötigt Deutschland pro Tag eine Einspeiseleistung von ~55 GW.
  • Die „Nennleistung“ wird dann erreicht, wenn alle WKA’s bei optimaler Windgeschwindigkeit, die einer „steifen Briese“ entspricht, laufen.
  • Der Minimalwert der „real“ eingespeisten Leistung lag an manchen Tagen im April bei ~100 MW.

Und dann los - und es gibt noch viel mehr zu erforschen,
beispielsweise:


  • Wie hoch muß man den Inhalt des Bodensees (oder der Müritz) im Sinn eines Pumpspeicherwerks anheben, um Energie für 1 Woche Windflaute und trübes Wetter zur Verfügung zu haben...
  • Wie viel Energie geht verloren, wenn man aus "Windenergie" elektrolytisch Wasserstoff herstellt, aus Wasserstoff Methan und aus Methan in einem Gaskraftwerk wieder elektrische Energie...
  • Wie viele WKA's oder Solarzellenfläche ist notwendig, um genau die gleiche Menge "Windgas" zu erzeugen, wie man z.Z. russisches Erdgas im Jahr bezieht... 
  • Wie viele Pumpspeicherwerke wie Goldisthal sind notwendig, um eine Woche oder zwei Wochen Windflaute auszugleichen, wenn man zu 80% auf Windenergie setzt...
  • Wie groß ist die Fläche an Mais, die man benötigt, wenn die deutsche Energieversorgung zukünftig zu 20% auf Biomasse beruhen soll?
  • Wie viele Bleiakkus mit einer Kapazität von 12 Ah benötigt man, um einen Tag Gesamtausfall "erneuerbarer Energien" zwischenzuspeichern? Würde man sie alle in einen Würfel anordnen, wie groß wäre dessen Seitenlänge?
  • Wie groß ist der Aschehaufen, den alle deutschen Kohlekraftwerke in einem Jahr erzeugen?
  • Wie groß ist der Kohlehaufen, den alle deutschen Kohlekraftwerke im Jahr benötigen?
  • Wie groß ist der Abfallhaufen, den alle deutschen Kernkraftwerke in einem Jahr erzeugen?
  • Wie groß ist die Menge Uran, die alle deutschen Kernkraftwerke in einem Jahr benötigen?
usw. ...


Und viel Spaß bei der „Vermehrung der Erkenntnisse“.



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